/ Nick Sidorenko, MSc

Shades of gray: Was die Gehirnstruktur über Variabilität in der Risikoeinstellung sagen kann

3D Brain on a gray surface

In der Entscheidungsneurowissenschaften wurde das Volumen der Grauen Substanz mit Risikopräferenzen in Verbindung gebracht. Aber welche Gehirnstrukturen sind für das Risikoverhalten wichtig und können wir anhand der Messung des Gehirns des Menschen tatsächlich vorhersagen, wie viel Risiko eine Person eingehen würde?

Graue Zellen

Taxifahrer haben viel davon in gedächtnisbezogenen Regionen (1), Profimusiker in der Hörrinde (2) und Einstein hatte 15% mehr davon in Gehirnteilen, die mit mathematischem Denken zu tun haben (3). Was, fragen Sie? Graue Substanz!

Die Graue Substanz macht etwa 40% unseres Gehirns aus und besteht aus den Zellkörpern der Nervenzellen (Neuronen). Ihr volkstümlicher Name „kleine graue Zellen“ ergibt sich daraus, dass sie gräulich schimmern, wenn man sie mit dem bloßen Auge betrachtet. Je mehr Graue Substanz im Gehirn vorhanden ist, desto mehr Neuronen unterstützen so unterschiedliche Prozesse wie Muskelkontrolle, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Selbstkontrolle und nicht zuletzt.

Zeige mir Dein Gehirn, und ich versuche zu erraten, wie sehr Du das Risiko liebst


In der Entscheidungsneurowissenschaften wurde das Volumen der Grauen Substanz mit Risikopräferenzen in Verbindung gebracht. Aber welche Gehirnstrukturen für das Risikoverhalten wichtig sind und ob wir anhand der Messung des Gehirns des Menschen tatsächlich vorhersagen können, wie viel Risiko eine Person eingehen würde, ist noch eine offene Frage. In einer Studie baten Forscher des University College London die Teilnehmer, zwischen zwei Optionen mit unterschiedlichen Belohnungs- und Risikoniveaus zu wählen (4). Dann scannten sie die Gehirne von Probanden mittels Magnetischer Resonanz Tomographie (MRT) und stellten fest, dass Menschen mit einem höheren Grauen Substanz-Volumen in der rechten hinteren parietalen Hirnrinde bei ihrer Entscheidung risikotoleranter waren. Die Autoren argumentierten, dass diese Region, die zuvor schon dafür bekannt war, an Entscheidungen unter Unsicherheit beteiligt zu sein, als Biomarker für die finanzielle Risikoeinstellung dienen könnte, wenn die Ergebnisse für die allgemeine Bevölkerung repliziert werden. Andere wissenschaftliche Erkenntnisse betrafen eine Hirnregion, die Insula genannt wird. Neueren Studien zufolge ist das Volumen der Grauen Substanz im vorderen Teil der Insula umso größer, je höhere finanzielle Risiken eingegangen werden (5). Der hintere Teil der Insula war umgekehrt tendenziell umso kleiner, je weniger Verluste toleriert wurden (6). Schließlich haben wir in einem unserer letzten Beiträge darüber gesprochen, warum ältere Menschen manchmal schlechtere finanzielle Entscheidungen treffen. Interessanterweise war die ökonomische Irrationalität bei Erwachsenen über 65 Jahren auch mit dem Volumen der Grauen Substanz korreliert, diesmal jedoch im ventrolateralen präfrontalen Kortex (7).

Aber auch in anderen Lebensbereichen gibt es riskante Entscheidungen. Unterschiede im Volumen der grauen Substanz in verschiedenen Hirnregionen gehen auch einher mit dem Risiko des Alkoholkonsums (8, 9), des Cannabiskonsums (10) und die Suche nach intensiven Eindrücken (Sensation Seeking) (11). In der digitalen Welt wurden die Internet-Spielsucht (12) und sogar die Anzahl der Freunde auf Facebook (13) mit Unterschieden im Volumen der Hirnregionen in Verbindung gebracht.

Potenzial als Biomarker


Studien über die Graue Substanz weisen versprechende Ergebnisse aus und eröffnen neue Horizonte für ein besseres Verständnis der neuronalen Basis des menschlichen Risikoverhaltens. Aber bedeuten sie, dass wir einfach einen Weg finden müssen, das Wachstum der Grauen Substanz, zum Beispiel in unserer Insula, anzukurbeln, um in risikoreiche Aktien zu investieren? Nein. All diese Erkenntnisse sind korrelativer Natur und geben keinen Aufschluss darüber, welche Ursachen das von uns beobachtete Verhalten hat. Um den kausalen Zusammenhang herzustellen, verwenden Entscheidungsneurowissenschaftler eine Reihe anderer Ansätze zur Prüfung von MRT-Befunden mit anderen Instrumenten der Neurowissenschaft.

Interessant an der Grauen Substanz ist, dass ihr Volumen in verschiedenen Hirnregionen über lange Zeiträume im Erwachsenenalter relativ stabil ist. Somit birgt sie Potenzial als ein Biomarker, der den Wissenschaftlern helfen könnte, Licht in die Grauzonen der menschlichen Natur zu bringen. 


1.     Maguire, E. A., Gadian, D. G., Johnsrude, I. S., Good, C. D., Ashburner, J., Frackowiak, R. S., & Frith, C. D. (2000). Navigation-related structural change in the hippocampi of taxi drivers. Proceedings of the National Academy of Sciences, 97(8), 4398-4403.

2.     Schneider, P., Scherg, M., Dosch, H. G., Specht, H. J., Gutschalk, A., & Rupp, A. (2002). Morphology of Heschl's gyrus reflects enhanced activation in the auditory cortex of musicians. Nature neuroscience, 5(7), 688-694.

3.     Falk, D., Lepore, F. E., & Noe, A. (2013). The cerebral cortex of Albert Einstein: a description and preliminary analysis of unpublished photographs. Brain, 136(4), 1304-1327.

4.     Gilaie-Dotan, S., Tymula, A., Cooper, N., Kable, J. W., Glimcher, P. W., & Levy, I. (2014). Neuroanatomy predicts individual risk attitudes. Journal of Neuroscience, 34(37), 12394-12401.

5.     Nasiriavanaki, Z., ArianNik, M., Abbassian, A., Mahmoudi, E., Roufigari, N., Shahzadi, S., ... & Bahrami, B. (2015). Prediction of individual differences in risky behavior in young adults via variations in local brain structure. Frontiers in neuroscience, 9, 359.

6.     Markett, S., Heeren, G., Montag, C., Weber, B., & Reuter, M. (2016). Loss aversion is associated with bilateral insula volume. A voxel-based morphometry study. Neuroscience Letters, 619, 172-176.

7.     Chung, H. K., Tymula, A., & Glimcher, P. (2017). The reduction of ventrolateral prefrontal cortex gray matter volume correlates with loss of economic rationality in aging. Journal of Neuroscience, 37(49), 12068-12077.

8.     Taki, Y., Kinomura, S., Sato, K., Goto, R., Inoue, K., Okada, K., ... & Fukuda, H. (2006). Both Global Gray Matter Volume and Regional Gray Matter Volume Negatively Correlate with Lifetime Alcohol Intake in Non–Alcohol‐Dependent Japanese Men: A Volumetric Analysis and a Voxel‐Based Morphometry. Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 30(6), 1045-1050.

9.     Benegal, V., Antony, G., Venkatasubramanian, G., & Jayakumar, P. N. (2007). Imaging study: gray matter volume abnormalities and externalizing symptoms in subjects at high risk for alcohol dependence. Addiction biology, 12(1), 122-132.

10.  Cheetham, A., Allen, N. B., Whittle, S., Simmons, J. G., Yücel, M., & Lubman, D. I. (2012). Orbitofrontal volumes in early adolescence predict initiation of cannabis use: a 4-year longitudinal and prospective study. Biological psychiatry, 71(8), 684-692.

11.  Miglin, R., Bounoua, N., Goodling, S., Sheehan, A., Spielberg, J. M., & Sadeh, N. (2019). Cortical thickness links impulsive personality traits and risky behavior. Brain sciences, 9(12), 373.

12.  Zhou, Y., Lin, F. C., Du, Y. S., Zhao, Z. M., Xu, J. R., & Lei, H. (2011). Gray matter abnormalities in Internet addiction: a voxel-based morphometry study. European journal of radiology, 79(1), 92-95.

13.  Kanai, R., Bahrami, B., Roylance, R., & Rees, G. (2012). Online social network size is reflected in human brain structure. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 279(1732), 1327-1334.

14.  Christie, Agatha.  (2001).  Dumb witness.  Oxford ; Melbourne :  Compass Press